Redebeitrag bei der Demonstration "A100 Wegbassen" am 02.09.2023 in Berlin

Wilkommen im hier und jetzt. Wir befinden uns im Jahr 2023. Oder im Jahr von 424 PPM atmosphärischem CO2. Die globale Durchschnittstemperatur liegt inzwischen um 1,2° höher als der vorindustrielle Durchschnitt. Tendenz steigend.

Die Wahrscheinlichkeit, schon in den nächsten 5 Jahren die 1,5° erstmals zu überschreiten, liegt aktuell bei über 50%. Auch hier ist die Tendenz leider steigend. Daten, die in den letzten Tagen veröffentlicht wurden, deuten sogar darauf hin, dass es schon dieses Jahr soweit sein könnte

Menschen die sich mit der Klimakatastrophe beschäftigen, kennen die Konsequenzen, die ein Überschreiten der 1,5° mit sich bringen: Meeresspiegelanstieg durch schmelzende Gletscher und Polkappen. Stärkere Extremwetterevents durch wärmere Ozeane, Dürren und Überschwemmungen durch veränderte Klimamuster. Überschreiten von Kipppunkten, die die Klimakatastrophe weiter befeuern.

Die letzten Monate haben uns die Konsequenzen auch noch einmal deutlich und sichtbar vor Augen geführt: Waldbrände, Überschwemmungen, Dürren und Stürme.

Was vor 20 Jahren noch als alarmistisches Doomsday-Predigertum wahrgenommen wurde, ist aus der Sicht einer wachsender Anzahl von Klimawissenschaftler*innen inzwischen eine unvermeidbare Tatsache. Der Klimakollaps ist da und wird sich nicht mehr aufhalten lassen!

Trotzdem bleibt diese Aussage der Elefant im Raum. Weder Politik und Medien, noch klimaaktivistische Gruppen greifen das Thema auf. Die Gründe dafür sind vielfältig: Kapitalistisches “weiter so” im Deckmantel des Grünen Kapitalismus,

Verdrängungsdynamiken und emotionale Vermeidungsstrategien – und die Angst vor Resignation und Untätigkeit als Reaktion auf die Unvermeidbarkeit des Klimakollaps sind hier nur ein paar Beispiele von vielen.

Die oben genannten Beispiele führen dazu, dass Menschen, die nicht mehr an die Bewältigung der Polykrise, und damit an einen gesamtgesellschaftlichen Kollaps glauben, nicht abgeholt werden. Die Ausarbeitung von kollapsbewussten Verarbeitungsstrategien und Zukunftsperspektiven wird damit einzelnen Menschen und selbstorganisierten Gruppen überlassen.

Ein Beispiel wäre hier das Klima Kollaps Café (KKC): eine kleine Gruppe von Menschen, die sich mit dem Klimakollaps und anderen Kollapsdynamiken beschäftigen. Das KKC ist eine Community aus Aktivist*innen in verschieden Bereichen, Psycholog*innen, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Sozialarbeiter*innen, Mediziner*innen, Lehrer*innen und Arbeiter*innen.

Sie eint die Erkenntnis, dass wir die 1,5°C auch langfristig überschreiten werden und wir schon jetzt am Anfang einer unfassbaren ökologischen und humanitären Katastrophe stehen. Sie eint auch das Wissen, dass es keine Frage des "ob", sondern eine Frage des “wann” ist.

Diese Erkenntnis bedeutet aber nicht, dass wir resignieren oder die Flinte ins Korn werfen sollen. Es bedeutet stattdessen, dass wir uns um so stärker für Klimaschutz und eine gesellschaftliche Transformation einsetzen müssen! Es geht darum, Zeit zu gewinnen und global so viel Schmerz und Leid wie möglich zu verhindern.

Die Akzeptanz der Unvermeidbarkeit des Klimakollapses gibt uns unsere Handlungsfähigkeit zurück und ermöglicht es uns, vom Ende her zu denken.

Am konkreten Beispiel: Warum sollen wir jetzt eine Autobahn bauen, die, wenn sie fertig ist, nicht mehr benötigt wird, da eine sich kontinuierlich verschärfende Polykrise Autofahren zum Luxusgut machen wird?

Oder anders: Auf welchen Konsum könnten wir schon jetzt freiwillig verzichten, um den Klimakollaps zu verlangsamen? Vor allem, wenn wir früher oder später sowieso verzichten müssen? Die Frage ist nicht mehr, was wir aufgeben WOLLEN, sondern WANN wir es aufgeben MÜSSEN und wie wir uns darauf vorbereiten.

Ich möchte an der Stelle noch kurz auf die Polykrise eingehen, die ich gerade angesprochen habe. Wenn ich von Kollapsdynamiken sprechen, rede ich nicht nur von der Klimakatastrophe. Nebenbei befinden wir uns auch gerade im größten Artensterben seit 65 Millionen Jahren, dem sogenannten Biodiversitätskollaps. Auch die anhaltende Coronakrise kann mit ihren Spätfolgen als Kollapsdynamik wahrgenommen werden, nicht nur medizinisch, sondern auch gesellschaftlich.

Diese Multiple- oder Polykrise wird in Zukunft die globale Handlungsfähigkeit mehr und mehr einschränken. Materiell, Physisch und psychisch. Weiter darauf einzugehen, würde aber leider den Rahmen dieses Textes sprengen.

Der Punkt ist: Wir müssen JETZT damit anfangen, uns zu organisieren und gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir diesen Kollaps sozial gerecht gestalten können.

Nicht nur in Deutschland, sondern global.

Dem entgegen steht, dass das Thema Kollaps ideologisch bisher fast ausschließlich von Rechts besetzt ist. Schon 2012 schrieb der Faschist Björn Höcke über das strategische Potential kollapsinduzierter Krisen für die Rechte Bewegung. Auch aktuell nutzen rechtspopulistische Akteure umgedeutete Kollapserzählungen, um Stimmen zu gewinnen. Julian Reichelt oder Huber Aiwanger sind hier Beispiele. Sie sind die Kämpfer des “ungerechten Kollaps”.

Die beschriebenen Kollapsdynamiken haben schon jetzt spürbare politische Auswirkungen auf uns. Steigende Umfragewerte der AfD und das Gesamtbild des globalen Rechtsruck sind dafür EIN Beispiel. Sich global verschlechternde Bedingungen für Frauen und queere Menschen, People of Color, Indigene Menschen, Geflüchtete, Armutsbetroffene und anderer von systematischer Diskriminierung und Unterdrückung Betroffener, ein weiteres.

Beispiele hierfür: der Kampf gegen reproduktive Rechte von Frauen durch rechtspopulistische/konservative Politiker*innen in den USA und Polen oder die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung in Kanada, Argentinien, Chile und Brasilien, um Pipeline- und Bergbauprojekte durchzudrücken.

Auch der Staat ist kein neutraler Akteur. Denn statt in Zeiten der Krise aktiv für Klimaschutz und Demokratie einzustehen, ist die staatliche Antwort auf die Krise mehr Polizei und Überwachung, strengere Grenzkontrollen und (un)soziale Sparpolitik während zeitgleich Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche umgesetzt werden.

Konkretes Beispiel: In München saßen anlässlich der geplanten Proteste gegen die Internationale Autoausstellung fast 30 Aktivist*innen der “Letzten Generation” in Präventivhaft. Andere Aktivist*innen der LG wurden für friedlichen zivilen Ungehorsam zu unverhältnismäßig hohen Gefängnisstrafen verurteilt.

Gleichzeitig bezeichnen verschiedene politische Akteure (u.A. Politiker*innen, Polizeigewerkschaftsführer) die friedlichen Proteste als “Klimaterrorismus” und rufen zu Selbstjustiz gegen Klimaaktivist*innen auf. Damit tragen sie einerseits aktiv zu der Gewalt bei, die den Aktivist*innen aus der Bevölkerung entgegenschlägt und legen andererseits schon jetzt ein argumentatives Fundament, um später noch härter gegen den, sich in Zukunft weiter radikalisierenden, Klimaaktivismus vorgehen zu können.

Auch der Ausbau der "Festung Europa" mit verschärften Asylgesetzen und illegalen Pushbacks durch die Grenzschutzmiliz Frontex muss unter Einbezug der oben genannten Gesichtspunkten betrachtet werden.

Kurz zurück zur Polykrise: große Teile der Bevölkerung sind bereits heute von der sich entwickelnden Krise betroffen. Steigende Lebensmittel- und Energiepreise bringen Armutsbetroffene schon jetzt an den Rand des Existenzminimums. Wenn wir Kollapsdynamiken mitdenken, müssen wir davon ausgehen, dass die Preise auch in Zukunft eher weiter steigen und nicht wieder sinken werden.

Massiv veränderte Rahmenbedingungen, wie der Verlust von landwirtschaftlicher Fläche und Ernten oder Störungen von globalen Lieferketten durch Extremwetterevents werden perspektivisch zu Versorgungsproblemen und einem globalen Zusammenbruch ganzer volkswirtschaftlicher Systeme führen.

All diese Beispiele zeigen uns, dass die Gestaltung des "gerechten Kollaps" ein intersektionaler Prozess sein muss. Das bedeutet, dass wir in Zukunft unsere Kämpfe wieder gemeinsam denken, planen und ausfechten müssen.

Gerechter Kollaps ist antikapitalistisch.

Gerechter Kollaps ist feministisch.

Gerechter Kollaps ist antikolonialistisch.

Gerechter Kollaps ist antifaschistisch.

Selbst wenn Kollapsgedanken oft erdrückend und entmutigend erscheinen: denkt daran, ihr seid auf dem Weg zur Kollapsakzeptanz nicht allein. Es gibt jetzt schon Gruppen, wie z.B. das Klima Kollaps Cafe, die sich mit den psychischen und emotionalen Auswirkungen des Kollaps auseinandersetzen.

Wir müssen außerdem anfangen, solidarische und resiliente Gemeinschaften zu bilden, die sich mit Skill-, Wissens- und Ressourcensharing gegenseitig unterstützen. Also: Vernetzt euch und bildet Banden!

Ich hoffe ich konnte bis hierher deutlich machen, dass Kollapsakzeptanz nicht bedeuten muss, Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern oder die Flinte ins Korn zu werfen, sondern uns stattdessen ermutigen kann, unsere Gesellschaft und den Umgang mit der eskalierenden Krise neu zu denken.

Auch wenn wir den Kampf gegen die 1,5° verlieren: der Kampf für den gerechten Kollaps hat gerade erst begonnen!

Maximilian Büttner

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