Führt die Vorstellung eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs nicht zwangsläufig zu Fatalismus, Egoismus und Hoffnungslosigkeit?

Klima- und Umweltpsycholog*innen warnen immer wieder davor, dass wir Informationen über das Klima nicht so stark katastrophisieren sollten, da sonst die Gefahr bestünde, dass sich Menschen nicht mehr in der Lage sehen, überhaupt noch einen Beitrag zu leisten und sie dann ihrer Angst ausgeliefert seien bzw. in Fatalismus verfallen(1). Dieser Warnung scheinen Politik, Medien und sogar große Teile der Klimabewegung unhinterfragt zu folgen.

Ist diese Warnung aber berechtigt?

In einer Metastudie zu Angstappellen, kommen die Autor*innen um Melanie B. Tannenbaum zu dem Schluss, dass (a) Angstappelle wirksam sind, um Einstellung, Absichten und Verhaltensweisen positiv zu beeinflussen; (b) es nur sehr wenige Umstände gibt, unter denen sie nicht wirksam sind; und (c) es keine identifizierten Umstände gibt, unter denen sie nach hinten losgehen und zu unerwünschten Ergebnissen führen (2). Eine andere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Kommunikation pessimistischer Szenarien zu einer höheren Risikowahrnehmung bei allen Zielgruppen führt. Optimistische Szenarien können zwar eine unter Apokalypse-Müdigkeit leidende Öffentlichkeit trösten, scheinen jedoch die Risikowahrnehmung und die wahrgenommene Ergebniswirksamkeit nicht zu erhöhen (3). Das Disaster Research Center der University of Delaware stellte auf Grundlage von fast 700 Feldstudien seit 1963 fest, dass nach Katastrophen nie die totale Panik ausbrach und Menschen nicht in erster Linie egoistisch, sondern sogar altruistisch handelten. Die Zahl der Verbrechen nahm, wider der Erwartung sogar ab (4). Dass die überwältigende Mehrheit des spontanen Verhaltens nach Katastrophen prosozial geprägt ist, bestätigten auch wissenschaftliche Untersuchungen nach dem der Hurrikane Katrina die Stadt New Orleans 2005 fast komplett verwüstete (5). Das französische Observatorium für Kollapsforschung kommt zu der Schlussfolgerung, dass die Vorstellung eines  gesellschaftlichen Zusammenbruchs die Menschen optimistisch und aktiv gemacht hat und das es möglich ist, sich ein Leben nach dem Zusammenbruch, statt einer Apokalypse vorzustellen (6). Warum tauchen diese Forschungsergebnisse kaum in der aktuellen Diskussion um die richtige Klimakommunikation auf? Es scheint fast so, als würde die Debatte eher emotional als sachlich geführt werden und als ginge es im Kern mehr um einen Kampf um die Deutungshoheit anstatt um einen tatsächlichen Erkenntnisgewinn.

Laut dem neuen Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer (7), einer jährlichen repräsentativen Befragung von deutschlandweit mehr als 6.500 Personen, schätzen die Befragten die Veränderungsbereitschaft ihrer Mitmenschen geringer ein, als sie tatsächlich zu sein scheint. Beispielsweise glauben die Befragten, dass die Befürwortung für den Windausbau vor Ort in Gesamtdeutschland durchschnittlich bei einem Drittel (32 Prozent) liegt, tatsächlich ist es mehr als die Hälfte (59 Prozent). Inwiefern beeinflusst eine scheinbar grundlegende verzerrte Wahrnehmung der Meinungsverhältnisse auch die Beurteilung der Gesellschaft im Umgang mit Katastrophen oder dem Zusammenbruch unserer Gesellschaft?

Nach §630c des BGB müssen Patient\*innen von ärztlichem Personal über ihre Diagnose und Behandlung grundsätzlich aufgeklärt werden. Ausnahmen sind die notfallmäßige Behandlung oder wenn Patient\*innen ausdrücklich auf eine Aufklärung verzichten. Inwiefern sollte dieser Grundsatz nicht auch auf Informationen bezüglich des Zustandes unserer Erde oder unserer Gesellschaft zutreffen? Widerspricht es nicht sogar den Grundsätzen einer freiheitlich demokratischen Grundordnung, wenn ein informierter und privilegierter Teil der Gesellschaft darüber entscheidet, welche Informationen der Mehrheit der Bevölkerung zuzumuten sind, auch wenn dies einer guten Absicht dienen sollte? Gesellschaften sind komplex und wir können daher nur spekulieren, wie Menschen in Ausnahmesituationen wirklich reagieren. Ist aber ein mögliches Scheitern nicht zwangsläufig auch der Preis für Freiheit in der Selbstbestimmung? Welchen Werten möchten wir also zukünftig folgen?

Die aktuelle Strategie der Klimakommunikation in der Informationsvermittlung auf „Nummer sicher“  zu gehen, birgt aber auch große Risiken und die Gefahr zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden. Die fehlende Auseinandersetzung mit Worst-Case-Szenarien und einem möglichen gesellschaftlichen Zusammenbruch führt dazu, dass diese nur von Rechtsextremen besetzt werden. Außerdem werden Menschen, welche katastrophale Zukunftsszenarien in ihr Bewusstsein einschließen und vielleicht auch gerade deshalb aktiv werden, systematisch ausgegrenzt und stigmatisiert.


Quellen:

(1) Hamann, K; Baumann A; Löschinger D. (2016): Psychologie im Umweltschutz. München: Oekom Verlag.
(2) Tannenbaum, M.; et al. (2015): A Meta-Analysis of Fear Appeal Effectiveness and Theories. Unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5789790/ (abgerufen am 20.11.2020)
(3) Morris, Brandi S.; et al. (2020): Optimistic vs. pessimistic endings in climate change appeals. Unter: https://www.nature.com/articles/s41599-020-00574-z (abgerufen am 26.12.2022)
(4) Quarantelli, Enrico L. (2008): „Conventional Beliefs and Counterintuitive Realities.“ An International Quarterly of the Social Sciences, Vol. 75, Issue 3, S. 885.
(5) Rodriguez, H.; Trainor, J.;Quarantelli, E.L. (2006): „Rising to the Challenges of a Catastrophe: The Emergent and Prosocial Behavior Following Hurricane Katrina.“ The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 604, Issue 1.
(6) Loic, Steffan (2020): Von der Angst vor dem Tod zum Tod der Angst. Unter: https://obveco.com/2020/03/30/de-la-peur-de-la-mort-a-la-mort-de-la-peur/
(abgerufen am 01.07.2021)
(7) Pressemitteilung (2023): Weitaus mehr Menschen als angenommen befürworten Klimaschutz. Unter: https://ariadneprojekt.de/pressemitteilung/weitaus-mehr-menschen-als-angenommen-befuerworten-klimaschutz (abgerufen am 23.07.2023)

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